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Titel
Totalitarismustheorien in der jungen BRD. Zur Kritik des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus in der Zeitschrift »Der Monat«


Autor(en)
Gmehling, Joachim
Reihe
Amerika: Kultur – Geschichte – Politik (11)
Anzahl Seiten
816 S.
Preis
€ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Liebold, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz

Wie kann man das Prinzip der Demokratie so darstellen, dass es im Gegenlicht von totalitären Systemen (wie des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus in der Stalinzeit) an Festigkeit gewinnt? Offenbar ging es den amerikanischen Promotoren der 1948 gegründeten Zeitschrift „Der Monat“ um einen „kalten Schauer“, der den westdeutschen Lesern den Rücken hinunterrinnen sollte beim Blick auf das Gebaren des leidvoll und zerstörungsreich niedergekämpften Nationalsozialismus sowie des nach dem Krieg äußerst lebendigen Kommunismus – nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch hinter Harz und Vogelsberg. Das Nebeneinander aus Durchlässigkeit der Zonengrenzen und krasser Diktaturdurchsetzung (etwa in Form von Repressionen, vehementer Bekämpfung kirchlicher Köpfe und Strukturen, Marginalisierung der liberalen Linken) erlaubte eine für alle nachvollziehbare Beobachtung mit – damals – großer Breitenwirkung, auch wenn die sowjetischen Zustände noch dramatischer waren als diejenigen in der SBZ/DDR.

Joachim Gmehling entwirft anhand der Beiträge des „Monats“ ein geistiges Tableau der vielleicht prägendsten Theoriengruppe der frühen Nachkriegszeit („Totalitarismustheorien“), die aufgrund des zugespitzten Blickwinkels etwas monolithischer wirkt, als es die Beteiligten damals wechselseitig behauptet hätten. Neben dem Textkorpus bezieht der Autor vier Zeitzeugeninterviews ein, darunter mit Melvin J. Lasky (1920–2004), dem Gründer der Zeitschrift – ein virtuoser Journalist und als Organisator des West-Berliner „Kongresses für kulturelle Freiheit“ ab 1950 Drehgeber sozial-liberaler Ideen, die für den Mainstream anschlussfähig waren: Die doppelte Perspektive von Antinationalsozialismus und Antikommunismus hatte eine Abneigung gegen den älteren Konservatismus, gegen Marktliberalismus und manch ethischen Grundwert der Zwischenkriegszeit im Rücken, die uns heute merkwürdig vorkommt. Wie die CIA den „Monat“ finanzierte, gerät dabei in Gmehlings Darstellung zum – etwas aufgesetzten – Skandal.

Der umfangreiche Band, eine überarbeitete Fassung von Gmehlings schon 2011 in Hamburg verteidigter Dissertation1, ist trotz stringenter Gliederung nicht einfach zu durchdringen. Auf die Einleitung und ein sehr langes Kontext-Kapitel zum Kalten Krieg folgen zwei Hauptkapitel gewaltigen Ausmaßes: Zuerst widmet sich Gmehling den Köpfen der Zeitschrift, dann den beiden zentralen Gegenständen – Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und dem Sowjetkommunismus – sowie einem Vergleich. Neben Axel Schildt hatten sich bisher besonders Peter Hoeres, Michael Hochgeschwender und Marko Martin mit dem „Monat“ befasst. Zeitgenössisch wirkte ein von den USA gesteuertes Medium keineswegs per se abschreckend – viele sogen amerikanische Themen und Impulse damals begierig auf, sogar die kommunistischen Kritiker der US-Kultur. Dass im „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm, inzwischen ein fraglicher Begriff) die Bindung an die US-Medienpolitik mitunter auf Kosten der journalistischen Redlichkeit ging, verwundert nicht. Interessant sind die Stellen, die den positiven Standpunkt der Zeitschrift präsentieren: Weil sich ein – unscharfer – Liberalismus US-amerikanischer Prägung (seinerseits mit vielen europäischen Wurzeln) mit dem – um Konsens bemühten – Liberalismus der Nachkriegsgesellschaft in Westdeutschland paarte (S. 21), glaubten die Leser den Argumenten.

Wie schwierig die Frontlinien der zeitgenössischen Ideologie einzuordnen sind, mag ein Hinweis auf die Titelseite der Erstausgabe des „Monats“ (abgebildet auf S. 28) erhellen: Unter „Schicksal des Abendlandes“ wurde neben anderen Beiträgen ein Text von Arnold Toynbee über die „Bewährung des Westens“ präsentiert; das „Abendland“ erschien mithin nicht als böse Schwester des Westens, sondern als einigendes Dach. Ein zweiter Sachverhalt: Die maßgeblich von Willi Münzenberg organisierte Komintern-Propaganda der Zwischenkriegszeit diente den Blattmachern auf dem Weg zu einer effektvollen Orchestrierung des Antikommunismus als Vorbild (S. 32).

Seine Forschungsfrage und die Herangehensweise erläutert der Autor knapp, eine Methodenreflexion ist indes nicht erkennbar (vage spricht er von einer „empirischen Auswertung“ der Hefte, S. 38), weshalb die langen Beschreibungen und der referierende Stil im Weiteren kaum überraschen. Während Gmehling um ein „Verstehen“ aus der Zeit heraus bemüht ist (keine „Expostbesserwisserei“, S. 38), ist die Begründung für teils lange Zitate nicht überzeugend – der Leser kann selbst denken, doch sollte eine Qualifikationsschrift eigene Wertungen anbieten. Solche Urteile sind etwa im Abschnitt „Forschungsstand“ zu finden – etwa ein Lob für Jost Hermand und eine vehemente Kritik an Ulrike Ackermann. Bei der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismusbegriff fällt auf, dass der persönlichen Betroffenheit der historischen Akteure in einem Band von Alfons Söllner mehr „Kredit“ gegeben wird als einer wissenschaftlichen Sicht ohne diese Schicksalsvolte (etwa von Eckhard Jesse). Weitergedacht würden dann nur ultraliberale oder bürgerliche Opfer auch des späteren Sowjetkommunismus „echte“ Analysen liefern können. In dialektischer Fortentwicklung seines Themas wittert Gmehling überall Instrumentalisierung: Verharmlosungen, Gleichsetzungen, Simplifizierungen und Dämonisierungen. Dabei gehört es durchaus zu den Stärken des Buches, die Wandlung von „differenzierte[n] und vielschichtige[n] Analysemodelle[n]“ zum „ideologische[n] Produkt“ (S. 57) während der Zeit der Blockkonfrontation anhand publizistischer Äußerungen nachzuzeichnen. Dennoch hatten die publikumsnahen Beiträge sicher nicht die Intention, die Argumentationstiefe der akademischen Werke etwa Carl J. Friedrichs, Arcadius R.L. Gurlands oder – später – Peter Christian Ludz’ zu erreichen. Insofern geht die Kritik am Anspruch der Zeitschrift teils vorbei. Der „Monat“ wollte eine Waffe im Kampf der Ideologien sein, kein dargereichtes Blümchen und auch kein Fachorgan.

Früh setzte die US-Administration Experten darauf an, Deutschland zu analysieren – die im Kalten Krieg mit der Zeitschrift „Monat“ ausgeübte intellektuelle Lenkung hatte ein Vorspiel. Auf nur vier Seiten (ab S. 185) erklärt Gmehling sein Movens – die frühe Bundesrepublik habe den Nationalsozialismus als Mittel genutzt, um kommunistische Umtriebe kleinzuhalten (man erschrickt über das von Norbert Frei übernommene Diktum einer „schwach säkularisierten Volksgemeinschaft“, S. 188). Dass die Zeitschrift dem „Kongress für kulturelle Freiheit“ mehr Nachhall geben sollte, macht ihren Gründungsimpetus klar.

Für Gmehling sind Renegaten als Promotoren des Antitotalitarismus interessant, etwa Hans Sahl. Da die prominenten Autoren (etwa Hannah Arendt, Raymond Aron oder Richard Löwenthal) des „Monats“ bekannt sind, erscheint es interessanter, warum etwa Franz L. Neumann nicht im „Monat“ schrieb, obgleich er antitotalitär eingestellt war und die Reeducation beförderte (S. 312). Über die Gründe sinniert Gmehling beleglos: Neumanns kapitalismuskritischer Ton sei für Lasky wohl ausschlaggebend gewesen – neben der Kritik an der konkreten amerikanischen Besatzungspolitik (S. 321f.). Neuere Ansätze der Intellectual History etwa zu Kommunikationsstrategien von Autoren und Verlegern bleiben leider außen vor, ebenso die anregenden Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung.2

Bei der Darstellung der NS-Analysen referiert Gmehling im Wesentlichen die Inhalte der Zeitschrift. Dem Rezensenten erscheint unter anderem bei der Kontroverse um Peter de Mendelssohns Kritik an den Memoiren von tatsächlichen und vermeintlichen Widerstandskämpfern die Zeitschriftenfunktion als Forum zu wenig untersucht – dass hier beinharte Kritik in Leserbriefen abgedruckt wurde, ist ein Zeichen der früh funktionierenden praktischen Seite der bundesrepublikanischen Demokratie. Auch wenn das „Erinnerungsbuch“ Ernst von Weizsäckers ein Vexierbild abgibt, ist der Umgang im „Monat“ imponierend liberal. Gmehling schlägt sich hier – ohne übergeordnete Sicht – auf die Seite de Mendelssohns (S. 390–403). Während dessen These, Intellektuelle hätten sich stärker gegen den Nationalsozialismus wenden können, aktivistisch wirkt, resümiert Gmehling insgesamt „national-konservative“ Positionen im „Monat“; Abweichler seien kaum aufgenommen worden (S. 482f.).

Wie für eine liberale Zeitschrift erwartbar, ist der „Monat“ am interessantesten für die Phase zu untersuchen, als der Stalinismus endete – wie wurde der Wandel unter Chruschtschow (S. 558f.) gesehen? Immanente Thesen überwiegen erneut; in der Zeitschrift wurden Epochenschnitt und Zukunftsperspektiven gewürdigt. Die im Buch referierte Position Richard Löwenthals zu Auswirkungen auf die Totalitarismusdebatte – etwa was Geheimpolizei und Terror betrifft – bleibt holzschnitthaft (S. 578f.). Im anschließenden komparativen Kapitel über Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus schildert Gmehling ausgehend von Eric Voegelins Arbeiten einige Vergleiche, hebt sich selbst aber nur wenig ab. Nachdem der Leser „analytische Resümees“ hinter sich gelassen und sich über die versuchte Gegenüberstellung von Artikeln im „Monat“ mit Positionen in der Wissenschaft gewundert hat (S. 696) – nota bene schrieben auch im „Monat“ Wissenschaftler –, bleibt als Schluss: Der „Monat“ habe die Deutschen – naiv oder bewusst – zu „Verführten“ erklärt (S. 724), sich damit im Grunde angebiedert, um die Verwestlichung zu stärken. Eine breite Mittäterschaft der Deutschen und die – von progressiven Kräften vorangetriebene – „Vergangenheitsbewältigung“ seien ausgeblendet worden; das relativiert der Autor allerdings wenig später (S. 729). Was heißt das nun für den historischen Ort der Totalitarismustheorien? Sie werteten von einem demokratischen Standpunkt aus, den der Autor in verschiedenen Andeutungen für weniger liberal hält, als die Verfechter der Theorien es in der frühen Bundesrepublik verkündeten.

Zusammen mit einigen schiefen zeitgeschichtlichen Wertungen gehören die nicht klar abgegrenzte Themenstellung und der oft weitschweifige Stil zu den Maluspunkten der Studie. Wie ernst es den damaligen Autoren war, sich zu grundsätzlichen Ideologiefragen zu positionieren, kann man aus Joachim Gmehlings Buch dennoch lernen. Das positive Gegenbild, eine regelbasierte liberale Gesellschaft, wäre für heutige Autoren ein schönes Essaythema. Im Jahr 2022 ist erstmals seit Jahrzehnten auf tragische Weise klar, dass es – bei allen kleinen Unterschieden – einen „Westen der Werte“ gibt.

Anmerkungen:
1 Siehe URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/4118 (23.10.2022).
2 Vgl. jüngst etwa den Tagungsbericht von Moritz Neuffer / Morten Paul, Periodische Formgebung. Zeitschriften und Öffentlichkeit in der frühen Bundesrepublik, in: ZfL BLOG, 09.06.2022, https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20220609-01 (23.10.2022).